„ Der Mensch denkt zwar, aber in seinem Gehirn gibt
es kein Gedankenzentrum. Dafür hat er ein Sprachzentrum
und ein Propagandazentrum. “
Owanes Mkrtjschjan
Die Armenier, wie auch andere christliche Gemeinden im Nahen Osten, hatten besondere Beziehungen zu einer der größten europäischen Machte, das expansionistische Ziel verfolgte. In diesem Fall war dies Russland. Das Bündnis der Armenier mit Russland war eine der schicksalsträchtigen Allianzen in der Geschichte des Südkaukasus. Die Armenier erhielten von Russland in der Vergangenheit wie auch heute so viel Wohlwollen und großzügigen Großmut wie kaum ein anderes Volk im Südkaukasus.
Der Experte R. Achari meint, dass „die Krise von Karabach, die eine mehr als hundertjährige Geschichte hat, mit der Ansiedlung der Armenier in einen Teil des Territoriums des Kaukasus, der von Moslems bewohnt war, begann. In der Anfangsphase war der Hauptgrund der Entstehung dieser Krise die Politik des zaristischen Russlands, das die Ausdehnung nach Süden anstrebte und der Kaukasusregion große Bedeutung zumaß… Die Umsetzung dieses Planes bestand darin, dass man die Ansiedlung der aus dem Iran, aus Anatolien, Kleinasien, dem Libanon und den anderen Regionen des Globus kommenden Armeniern im Südkaukasus, insbesondere auf dem Territorium des heutigen Aserbaidschans, nutzte. Diese Migrationen wurden mit der jahrelangen Absicht der Armenier, einen allumfassenden Nationalstaat zu schaffen, umgesetzt“.
Der Autor beschreibt völlig richtig die Ausgangsgründe des Konfliktes zwischen den Armeniern und den Aserbaidschanern des Südkaukasus, obwohl die Sprache der Darlegung etwas ,,hölzern“ ist. Nach Ansicht von O. Alstadt sind die Wurzeln des Konfliktes unbedingt in den historischen Unterschieden zu suchen, durch die die zaristischen Behörden jahrelang die Forderung von Fanatismus und selbst Gewalt als Kontrollmittel in ihrer Kolonialpolitik manipulierten. Die Änderung des territorialen Status quo auf Kosten aserbaidschanischen Landes war schon immer das Bestreben der Armenier, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, als den scharfsinnigeren armenischen Theoretiker klar wurde, dass Gebiete für einen neuen Staat kaum zu Lasten der Türkei zu erhalten sein wurden.
- Swietochowski bemerkt in seiner Schlussfolgerung über die Ursachen des Konflikts zwischen den Armeniern und den Aserbaidschanern zu Recht, dass Russland unter den Völkern des Transkaukasus eindeutig Armeniern bevorzugte. Die bewaffnete ethnische Opposition zwischen den Armeniern und den Aserbaidschanern begann bereits am 6. Februar 1905 in Baku. Die Gewalt dauerte in der Folgezeit an und breitete sich auf andere Teile des Transkaukasus aus, die gemischte aserbaidschanische und armenische Bevölkerung hatten. Anstifter der Kampfe, deren Zentrum sich nach Berg-Karabach verlagerte, waren Armenier. Die Daten der verschiedenen Quellen über die Gesamtzahl der „unwiederbringlichen Verluste“, d.h. der Toten, weichen beträchtlich voneinander ab: 3.100 bis 10.000. Die meisten Toten waren auch damals Aserbaidschaner.
Am Vorabend des Ersten Weltkriegs erwacht seitens Russlands wieder das Interesse an den osmanischen Armeniern, da in diesem Krieg Russland und das Osmanische Reich Gegner waren, und die Ausnutzung der Armenier gegen das Osmanische Reich den russischen Interessen entsprach. Nach der neuen Situation orientieren sich die armenischen Politiker wieder anders – nach Russland.” “Sie stützten sich hauptsächlich auf die Hoffnungen, dass nach dem Sieg der Entente das Osmanische Reich zerschlagen würde und die Regierung des Zaren den Armeniern die Selbstbestimmung im Kaukasus und in den östlichen Vilajets des Osmanischen Reiches geben würde. Russland, das seine Absichten bezüglich der Armenier darlegte (im Appell des Zaren von 1914) stärkte sozusagen diese Hoffnungen. Zar Nikolaus der Zweite, der sich an die Armenier gewandt hatte, befahl, dass sie mit ihren Brüdern unter dem Schutz des Zaren vereinigt werden und schließlich den Segen der Freiheit und der Gerechtigkeit erhalten sollten. „Jedoch verdient die Tatsache Erwähnung, dass in diesem Appell weder eine Andeutung noch ein Wort über Unabhängigkeit, über Autonomie oder gar über eine autonome Selbstbestimmung enthalten war.“
Nichts desto trotz gaben die mitreißenden Politiker der Partei Daschnakzutjun die Lösung der Wiederherstellung des „Großen Armenien“ aus und begannen mit der Bildung von Truppen aus den aus der Osmanischen Armee desertierten Armeniern. Praktisch eine zweite Front gegen die osmanische Armee eröffnend, begannen sie mit Bestrafungsaktionen gegen die nichtchristliche Bevölkerung der östlichen Vilajets mit dem Ziel ihrer Aussiedlung oder Vernichtung und der Schaffung eines eigenen Staates auf ,,befreitem“ Territorium. Der Außenminister des Osmanischen Reiches Talaat-Pascha war zum Handeln gezwungen und erließ am 24. April 1915 den Befehl über die Situation der aktivsten ,,Partisanen-“Tätigkeiten der Armenier in der Region. Im Befehl hieß es, dass die jüngsten Aufstande in Sejtun. Bitlis, Siwas und Van die anhaltenden Versuche der armenischen Komitees zeigten, über ihre politischen Kampforganisationen eine autonome Verwaltung für sich auf dem Territorium des Osmanischen Reiches zu erreichen. Der Befehl sah die Verhaftung aller Führer des Komitees und deren Überführung in andere Provinzen vor. die Entwaffnung der illegal geschaffenen Kampfgruppierungen der Armenier und ihre Bestrafung nach Militärrecht. Aber nach einem Monat, am 17. Mai 1915 nahmen die armenischen Verbände Van ein, riefen eine „Armenische Republik Van“ aus und zerstörten den
moslemischen Teil der Stadt fast völlig. Allein in dieser ,,Republik“ und den umliegenden Gebieten wurden rund 30.000 Moslems (Angaben von Feigl, S. 75-78) getötet. Als Reaktion auf diese massiven Verratsaktivitäten veröffentlichte die osmanische Regierung am 1. Juni 1915 einen Erlass über die Umsiedlung der unter dem Einfluss der Agitation der Politiker von Daschnakzutjun stehenden äußerst unzuverlässigen armenischen Bevölkerung aus den aktiven
oder sich bewegenden Frontzonen. So begann die große Tragödie des armenischen Volkes 1915.
Gleichzeitig spitzte sich die innere Situation in Russland zu, wo eine Reihe revolutionärer Veränderungen anstand. Nach dem bolschewistischen Umsturz im Oktober 1917 war die Macht in Baku, wo sehr viele Armenier wohnten, in den Händen des Sowjets von Baku. Vorsitzender des Exekutivkomitees des Sowjets von Baku war das Mitglied der bolschewistischen Partei, der Armenier S.Schaumjan, der aktiv in der Partei „Daschnakzutjun” mitgearbeitet hatte. Die aserbaidschanische Partei ,,Mussawat“ forderte die Autonomie für die Aserbaidschaner innerhalb Russlands. Bekannt ist, dass S.Schaumjan ein entschiedener Gegner dieser Idee war.
Mit dem Ziel der Diskreditierung dieser Idee veranstalteten die Truppenformationen des Sowjets, die in beachtlichem Umfang aus Armeniern bestanden, im Marz 1918 im Ujesd Baku von Aserbaidschan ein wahres Blutbad – sowohl unter den Anhängern des genannten Plans der Partei ,,Mussawat“ als auch allgemein unter den Moslems, hauptsachlich Aserbaidschanern. Nach einigen offiziellen Angaben wurden an einem einzigen Tag, am 31. Marz, in Baku über
30.000 Moslems, hauptsachlich Aserbaidschaner, getötet.
Schaumjan selbst charakterisierte diese Vorkommnisse wie folgt: „Wir… eröffneten die Offensive auf der ganzen Front… wir hatten schon Streitkräfte, rund 6.000 Mann. ,,Daschnakzutjun“ hatte auch ungefähr 3.000-4.000 nationale (Unterstreichung von mir – J.R.)
Verbände, die zur unserer Verfügung standen. Die Beteiligung der letzteren gab dem Bürgerkrieg teilweise den Charakter eines nationalen Blutbades … (Unterstreichung von mir – J.R.) Wir taten das (d.h. das nationale Blutbad! -.) bewusst… Wenn sie in Baku die Oberhand gewinnen wurden, würde die Stadt zur Hauptstadt von Aserbaidschan (Unterstreichung von mir – R. J.) erklärt“. Aber die Plane der armenischen Anführer waren ganz andere. Die bewaffneten
Daschnaken-Einheiten setzten die Störung der öffentlichen Ordnung in den Ujesden Schemacha und Guba, in Lenkoran, Chatschmas, Adschibulag, Saljany und anderen Orten fort. Bis Ende April 1918 wurden von den bolschewistischen Truppen, in denen der aktivere und aggressivere Teil aus armenischen Kämpfern bestand, über 50.000 Moslems getötet, die zum ganz überwiegenden Teil Aserbaidschaner waren.
Von Marz bis Juli sorgten bewaffnete armenische Einheiten, die namens der Sowjetmacht handelten, zielgerichtet für eine so umfangreiche Vernichtung der aserbaidschanischen Bevölkerung des Gouvernements Baku, dass dies als Völkermord bezeichnet werden kann. Und der erste Schlag war gegen die aserbaidschanische Bevölkerung Bakus gerichtet. Das Mitglied des Außerordentlichen Untersuchungsausschusses, der Jurist A.E. Kluge, bezeugt in seinem Vortrag „über die Gewalt gegen die moslemische Bevölkerung der Stadt Baku“ nicht nur das Ausmaß des Verbrechens (allein 11.000 Tote nur in Baku) und die schrecklichen Verbrechen und Plünderungen, sondern zieht daraus auch den Schluss, dass diese blutigen Ereignisse keinen zufälligen und spontanen Charakter hatten, sondern im Voraus vorbereitet waren. Dieser kurze Exkurs in die Vorgeschichte des Kampfes um Berg-Karabach ermöglicht eine deutlichere Vorstellung von der Tiefe der Wurzeln dieses Kampfes, dem Charakter der armenischen Aggression gegen die Republik Aserbaidschan und der Möglichkeit der Erstellung zusätzlicher Einschätzungen der realen völkerrechtlichen Möglichkeiten der Lösung des Konfliktes.
Aus dem Buch “Berg-Karabakh in der Geschichte Aserbaidschans und die Aggression Armeniens gegen Aserbaidschan” von Johannes Rau, Verlag Dr. Köster, 2009, Seite 189